Circular Economy als Wettbewerbsvorteil

Colab Quarterly Kreislaufwirtschaft Circular Republic

Umweltwirtschaft boomt in München. Ursula Triebswetter und Matthias Ballweg zeigen, wie die Landeshauptstadt mit Start-ups und Initiativen wie CIRCULAR REPUBLIC neue Wege einschlägt.

Interview: Sabine Hansky & Simone Fasse

Warum ist Kreislaufwirtschaft ein so relevantes Thema?

Ballweg: Kreislaufwirtschaft ist die Kernbedingung für Unternehmen, um in den 2030er-Jahren noch erfolgreich wirtschaften zu können. Das ist ähnlich wie bei der Digitalisierung, die fast überall in der DNA der Geschäftsmodelle angekommen ist. Die Ressourcenfrage wird immer kritischer, deshalb erwarte ich diese Entwicklung auch für die Kreislaufwirtschaft.

Über welche Dimensionen reden wir?

Ballweg: Kreislaufwirtschaft heißt, den Kundennutzen mit möglichst wenig Einsatz von Rohmaterial zu erreichen. Zum einen gibt es die ökologischen Treiber. Rohmaterial einzusetzen ist, wie fossile Energie zu verbrennen: Es geht um CO2 und Biodiversität. Hier wird die Regulatorik strenger und die unternehmerische Verantwortung wächst.

Außerdem geht es um Resilienz. Wir sind beim Materialverbrauch in Europa abhängig von totalitär geführten Regimen im globalen Süden. Das ist auch aus der Risikomanagement-Perspektive nicht nachhaltig. Es braucht nicht viel, um globale Lieferketten zu stören – ob geschlossene Häfen in China während COVID oder Überschwemmungen: Im Schnitt lässt öfter als alle 1,4 Jahre eine Krise die Rohmaterialpreise massiv in die Höhe schießen.

Es geht also um die Frage: Was passiert, wenn Rohstoffe knapp und teuer werden. Zielt darauf auch der Green Deal der EU?

Ballweg: Knapp im Sinne von: in Europa knapp. Im Kern will das Gesamtpaket Green Deal die strategische Unabhängigkeit erreichen, sodass wir auch in einem Konfliktszenario mit China profitabel wirtschaften können. Aktuell kann China die europäische Wirtschaft jederzeit lahmlegen, denn es bündelt bei vielen Rohstoffen die kritischen Zwischenschritte der Wertschöpfung. Die EU treibt deshalb das Mining in Europa voran und verstärkt die Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Dabei spielt Circular Economy eine große Rolle: Die wertvollen Rohstoffe, die wir schon in Europa haben, sollten möglichst komplett genutzt werden.

Ursula Triebswetter 1
»München hat den Vorteil, dass es viel Forschung und Entwicklung in der Stadt gibt und zahlreiche Start-ups vor Ort sind.«
Dr. Ursula Triebswetter, Fachgebietsleitung Nachhaltiges Wirtschaften & Mobilität und Management Munich Urban Colab, Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München

Auch für die Landeshauptstadt München sind Ressourcenschutz und Kreislaufwirtschaft wichtige Themen.

Triebswetter: Das Ziel der Stadt ist es, bis 2035 klimaneutral zu werden. Da knapp 50 % der Treibhausgase Münchens aus dem Wirtschaftssektor kommen, unterstützen wir Münchner Unternehmen dabei, den Energie- und Ressourcenverbrauch zu senken. Wenn wir Ressourcen im Kreislauf führen, sinkt automatisch der Energieverbrauch. In München gibt es rund 90.000 Unternehmen, davon sind 85 % Betriebe mit weniger als 10 Beschäftigten, und nur ein geringer Anteil aller Unternehmen hat eigene Beauftragte für Kreislaufwirtschaft. Viele der Programme aus der Münchner Wirtschaftsförderung zielen daher auf die Qualifizierung und das Teilen von Wissen und Erfahrungen. Aktuell beraten wir ca. 200 Unternehmen mit den Angeboten des Referats für Arbeit und Wirtschaft zum nachhaltigen Wirtschaften – und zwar vom Konzern bis zum Start-up.

Was heißt das konkret?

Triebswetter: Im Bereich Kreislaufwirtschaft können Einkäufer z.B. lernen, ob es Alternativen zu bestimmten Stoffen gibt. Wir unterstützen Firmen außerdem dabei, ihre Logistik zu überprüfen, beispielsweise alternative Quellen zu finden. München hat den Vorteil, dass es viel Forschung und Entwicklung in der Stadt gibt und zahlreiche Start-ups vor Ort sind. Wissen, das wir in die Unternehmens-Netzwerke bringen.

Wie ist die Bereitschaft zur Weiterbildung bei den Unternehmen?

Triebswetter: Wir sehen eine konstante bis wachsende Nachfrage nach unseren Programmen. Oft sind die Unternehmen schon auf einem guten Niveau unterwegs und wollen es jetzt systematischer angehen. Aber: Die Transformation hat ihren Preis. Die Umstellung muss wirtschaftlich machbar sein, sonst findet der Wandel nicht statt. Viel Nachfrage ist regulatorisch getrieben.

Colab Quarterly Interview 1
Links: Ursula Triebswetter / Rechts: Sabine Hansky

Wie nutzt die Stadt die Expertise von CIRCULAR REPUBLIC?

Triebswetter: Das Referat für Arbeit und Wirtschaft beobachtet sehr sorgfältig die Zusammensetzung der Wirtschaftsbranchen, dafür lassen wir u. a. externe Studien erstellen, hier hat uns auch CIRCULAR REPUBLIC mit einem Interview zur Einschätzung der Kreislaufwirtschaft unterstützt.

Ballweg: Wir haben im Frühjahr zum Beispiel eine gemeinsame Ausgabe des Formats „Meet the City“ zum Thema Kreislaufwirtschaft im Munich Urban Colab veranstaltet. Die Stadt hat die neue Umweltwirtschaftsstudie und zirkuläre Projekte für die Münchner Wirtschaft vorgestellt. Im Anschluss haben wir von CIRCULAR REPUBLIC die aktuelle Start-up-Landkarte gelauncht.

Welche Ergebnisse gab es?

Triebswetter: Aus der Umweltwirtschaftsstudie ging beispielsweise hervor, dass wir rund 120.000 Erwerbstätige in der Umweltwirtschaft in der Region München haben, mehr als im Automotive-Sektor. Davon fällt ein großer Anteil auf die zirkuläre Wirtschaft, wo neue Produkte und Dienstleistungen erfunden, getestet und auf den Markt gebracht werden, da ist richtig viel Musik drin - es ist davon auszugehen, dass der Markt wächst.

Ballweg: Umweltwirtschaft boomt in München. Start-ups im Bereich Circular Economy sind das am stärksten wachsende Investment-Segment im Risikokapitalbereich. Das gilt für Deutschland, für Europa, aber auch global. In 2023 sind die Start-up-Investments in Deutschland um über 3 Milliarden heruntergegangen, Investments in Circular Economy konnten dagegen um 33 % steigen, also ein Wachstum gegen den Trend. Das finde ich auch vom Gesamtnarrativ wichtig: Circular Economy ist nicht nur Abwehr von China oder Abwehr vom Klimawandel, sondern attraktiv, um Geld zu verdienen.

Warum spielen Start-ups für die Kreislaufwirtschaft eine so große Rolle?

Ballweg: Start-ups haben wie bei den meisten Innovationsthemen auch in der Circular Economy eine Katalysatorrolle. Sie springen schneller auf Trends, auf Geschäftsmodelle, auf neue Technologien – und Kreislaufwirtschaft hat eben viel mit Technologie zu tun. Künstliche Intelligenz ist hier ein wichtiger Enabler. Unser Report zeigt, dass nur 8 % der Circular-Economy-Start-ups KI im Kern des Geschäftsmodells haben, da geht also noch mehr.

Triebswetter: Start-ups sind am innovativen Rand unterwegs und es ist sehr interessant, im Colab- Kosmos viele dieser Gründungen zu sehen. Beim Thema Mehrweg und Convenience z.B. sind die Start-ups mit Recup oder Wecarry weit vorn.

Colab Quarterly Interview 4
Links: Simone Fasse / Rechts: Matthias Ballweg

Stimmt es, dass Kreislaufwirtschaft nur mit Kooperationen funktioniert?

Triebswetter: Ja, das würde ich klar unterstützen. An jedem Punkt der Wertschöpfungskette sollte es Überlegungen geben, wie sich Stoffströme verändern, minimieren oder anders lenken lassen und dabei trotzdem profitabel und marktfähig gearbeitet werden kann. Wir versuchen in unserer Rolle permanent, einen „perfect match“ zu bekommen zwischen Start-ups, Unternehmen und Stadt. Gleichzeitig vernetzen wir uns auch mit anderen Kommunen bundesweit und geben dieses Wissen weiter

Ballweg: Wir versuchen Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette in sogenannten Multistakeholder-Projekten zusammenzuführen. Wir machen z.B. ein großes Projekt mit BMW, Webasto und MAN, wo ein Start-up Batterierecycling-Technologie mit reinbringt und ein anderes die automatisierte Zerlegung von Batterien anbietet – das sind Innovationen, die diese Unternehmen inhouse nicht haben. Es wird möglichst ein gemeinsamer Wertstrom definiert und damit ein Business Case für alle geschaffen.

Der Schwerpunkt dieser Ausgabe ist Mode und Textil. Warum hat der Bereich Textil eine so große Bedeutung, warum hat CIRCULAR REPUBLIC hier sogar eine eigene Plattform gegründet?

Ballweg: Textil ist neben Bau, Batterien und Verpackungsplastik ein großes Problemfeld mit einem hohen Materialstrom und riesigen Mengen Müll am Ende – ein Drittel der Kleidung in unserem Schrank ziehen wir nie an. Es gibt immer mehr Start-ups, die sich dem Thema annähern, und wir haben mehrere Multistakeholder- Projekte, die am Textilbereich drehen, in ganzer Bandbreite: von Autositzen über Performance-Material und Outdoor-Jacken bis hin zu ganz normalen T-Shirts, aber aus Altkleidern, mit innovativen Recycling-Verfahren. Ein Beispiel für ein Start-up ist eeden – die skalieren derzeit ein ökonomisch und ökologisch effizientes Verfahren, das Baumwolle, Polyester und Poly-Baumwoll-Textilien in hochwertige Rohstoffe für die Herstellung neuer Textilfasern umwandelt.

Gibt es auch in der Landeshauptstadt Projekte im Textilbereich?

Triebswetter: Um unternehmerischen Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu unterstützen, betreut das Referat für Arbeit und Wirtschaft fortlaufend Modellprojekte zu ausgewählten Themen. Derzeit läuft ein Projekt im Bereich Kreislaufwirtschaft für Textilien mit einem Münchner Unternehmen, das innovative Maßnahmen zur Abfallvermeidung im Sinne einer Kreislaufwirtschaft erarbeitet und testet. Bis Ende des Jahres erhält das Unternehmen eine individuelle und qualifizierte Beratung sowie Sparring und Zugang zu Expertise und Wissen von zirkulären Lösungsansätzen, Maßnahmen und Datenerfassung.

Matthias Ballweg Circular Republic
»Recyclingtechnologien sind noch nicht so ausgereift, dass in der Breite eine Skalierung funktioniert.«
Dr. Matthias Ballweg, Co-Founder CIRCULAR REPUBLIC und Director UnternehmerTUM

Welche Hürden gibt es für die Etablierung von Kreislaufwirtschaft?

Ballweg: Recyclingtechnologien sind noch nicht so ausgereift, dass in der Breite eine Skalierung funktioniert. In vielen Bereichen sind Second-Life-Marktplätze schon da, aber: Wir haben in Deutschland die Produktionsprozesse so stark automatisiert und kostenoptimiert, dass es sehr günstig ist, auch ein komplexes Produkt neu auf den Markt zu stellen. Hier müssen wir für Reparatur- oder Recycling-Prozesse, aber auch für digitale Prozesse dieselbe Effizienz reinbekommen, wie wir für die linearen Prozesse aufgebaut haben.

Die Labels verbrennen Neuware im großen Stil oder entsorgen sie im globalen Süden - müsste da nicht die Regulatorik einschreiten?

Ballweg: Seit 2024 darf in Europa Nullware, also nicht mehr verkäufliche Ware, nicht mehr verbrannt werden, das trifft vor allem die Händler. Wir haben auch ein Projekt, wo wir einem unserer Partner geholfen haben, die Nullware in ein zweites Leben zu überführen, aber diese Lösungen lassen sich noch deutlich weiter professionalisieren.

Was muss sich bei den Kunden ändern?

Ballweg: Umerziehen wird nicht funktionieren, aber wir sollten künftig mit einem ökologischen Bewusstsein unterwegs sein, Elemente wie Pfand und Second Life mitdenken. Statt Verzichtsnarrative zu pflegen, sollten wir uns überlegen, wo Reparatur und Co schon heute einfach cleverer sind. Das ist eine mentale Überwindung und eine Sache der „Peer Pressure“, der Gewöhnung und des Lernens. Wie bei der Bierflasche: Nicht einmal Millionäre würden die wegschmeißen.

Welche nächsten Ziele gibt es?

Ballweg: Unser Ziel ist es, dass aus unserem Ökosystem kein lineares Geschäftsmodell mehr herausfällt. Das trifft auf 700 Start-ups zu, mit denen UnternehmerTUM jedes Jahr arbeitet, aber natürlich auch auf Münchner Unternehmen – deshalb ist die Zusammenarbeit mit der Stadt so wertvoll. Wir wollen, dass in der Metropolregion München die UnternehmerTUM ein global führender Hub für Kreislaufwirtschaft wird.

Triebswetter: Wir arbeiten gerade am Aufbau eines Zero Waste Innovation Hubs im Munich Urban Colab. Dieser soll Münchner Unternehmen einen Wissenszugang zu Kreislaufwirtschaftsthemen bieten und best practices hervorbringen. Wir möchten damit die Münchner Wirtschaft bei der Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft aktiv unterstützen. Neben weiteren Stakeholdern ist CIRCULAR REPUBLIC für uns ein wichtiger Player, um einen Mehrwert durch das Hub-Angebot für die Unternehmen zu identifizieren. Das Munich Urban Colab ist der perfekte Ort, weil hier so viele verschiedene Akteure an Lösungen arbeiten. Start-ups, KMU, Corporates, Gründungszentren, Wissenschaft, Bürger, Bürgerinnen und die Stadtverwaltung: Wir wollen, dass alle an einem Strang ziehen.

Dieses Interview ist im Colab Quarterly mit Schwerpunkt Mode und Nachhaltigkeit erschienen.