Neue Wurzeln, neue Wege: Diese Unternehmen revolutionieren Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion Colab Quarterly

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Infinite Roots

Diese Pioniere zeigen, wie innovative Ideen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion revolutionieren – von regenerativen Höfen über bioakustische Sensoren bis zu pilzbasierten Produkten.

Gut & Bösel

Im brandenburgischen Alt Madlitz hat Agrarökonom Benedikt Bösel den ehemaligen Familienbetrieb in einen Modellhof für regenerative Landwirtschaft verwandelt. Geringe Niederschläge, sandige Böden und zwei Dürresommer machten ihm deutlich, dass herkömmliche Methoden nicht mehr ausreichen. Stattdessen setzt Bösel mit seinem Team auf ganzheitliches Weidemanagement, Kompostierung, syntropische Agroforstsysteme und Waldumbau. Unter dem Schlagwort „Agroforst“ werden Ackerbau, Tierhaltung und ökologisch wertvolle Flächen neu verzahnt, was nicht nur ertragreich ist, sondern auch dauerhaft die Biodiversität fördert. „Wir sind nicht mehr mit unserem Boden verbunden – das müssen wir ändern“, sagt Bösel, der in der regenerativen Landnutzung den Schlüssel zur Lösung vieler globaler Herausforderungen sieht und dafür eng vernetzt mit anderen Akteuren wie der TU München, der HNE Eberswalde, oder dem Julius-Kühn Institut arbeitet. Mit der Finck Stiftung als NGO-Arm werden Forschung, Bildung und Naturschutz auf den Flächen von Gut & Bösel vorangetrieben. Zu den Forschungsaktivitäten zählt das Projekt DaVaSus (Data and value-based decision-making for a sustainable land use) mit Förderung des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung.

Gut & Bösel
Gut & Bösel: Vordenker Benedikt Bösel forscht und ackert in Brandenburg

Infinite Roots

Das Hamburger Biotech-Start-up Infinite Roots (bis 2023 Mushlabs) nutzt Fermentation und Speisepilze, um die nächste Generation nachhaltiger alternativer Proteine zu entwickeln und das Potenzial von Pilzen für die Lebensmittelproduktion nutzbar zu machen. Die Fermentationstechnologie von Infinite Roots setzt auf vielfältige Agrar-Nebenprodukte – wie Getreidespelzen und Hülsenfrüchte – als Nährstoffquelle für seine Pilzbasis. Das Team erforscht ebenfalls, wie zum Beispiel Molke als zusätzliche Ressource genutzt werden kann. Diese Rohstoffe, die andernfalls ungenutzt blieben, werden so in einen nachhaltigen Kreislauf eingebunden. Im Vergleich zu pflanzlichen Proteinquellen wie Soja, das mehrere Wochen zum Wachstum benötigt, lässt sich innerhalb weniger Tage eine hochwertige Pilzbasis erzeugen. Die pilzbasierten Produkte bringen einen natürlichen Umami-Geschmack, eine hohe Qualität und eine kurze, natürliche Zutatenliste mit. Deshalb kommen sie ganz ohne Geschmacksverstärker aus.

Der Fischgärtner

Der Fischgärtner ist ein Familienbetrieb in Moosinning bei München, in dem zwei Generationen gemeinsam eine neue Art der Landwirtschaft gestalten. Ausgehend von einem traditionell geführten Hof mit Schweine- und Bullenmast baute Familie Eschbaumer in Pionierarbeit auf ein modernes Aquaponik-System um. Dabei werden Fische – genauer gesagt afrikanische Welse – und Salate in einem geschlossenen Wasserkreislauf gehalten, der gänzlich ohne Antibiotika oder Pestizide auskommt. Während die Fische das Wasser mit Nährstoffen anreichern, reinigen die Pflanzen dieses zugleich für die Fische, sodass beide optimal gedeihen. Der so erzeugte Wels ist nahezu grätenfrei und punktet mit einem hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren. Aquaponik wird u. a. in Österreich und den Niederlanden vorangetrieben.

Der Fischgärtner
Der Fischgärtner: Aquaponik statt Schweinemast

Planet A Foods

Planet A Foods entwickelt Zutaten für die Lebensmittelindustrie, die auf natürliche Weise den vollen Geschmack und die samtige Textur von Schokolade bieten, und das ganz ohne Kakao. Dafür nutzt das Food- Tech-Start-up fermentationsbasierte Prozesse. So wird nicht nur die Abhängigkeit von Plantagen reduziert, die oftmals mit Entwaldung und hohem Wasserverbrauch einhergehen, sondern auch die CO2-Bilanz der Schokoladenherstellung verbessert. Gleichzeitig setzt sich Planet A Foods für faire Produktionsbedingungen und den Schutz lokaler Ökosysteme ein, um langfristig eine gerechtere und umweltfreundlichere Wertschöpfungskette zu etablieren.

Cho Viva in fluid form Source Planet A Foods Photographer Daniel Schvarcz
Planet A Foods: Schoko- Textur durch Fermentation ©Daniel Schvarcz

Patagonia Food

Patagonia Food (Patagonia Provisions) überträgt die hohen Nachhaltigkeitsstandards, die Patagonia bereits im Textilbereich etabliert hat, auf die Lebensmittel-Wertschöpfungskette. So arbeitet das Unternehmen mit landwirtschaftlichen Betrieben und Fischereien zusammen, die streng regenerative Praktiken anwenden: Dazu gehören beispielsweise der Verzicht auf chemische Düngemittel, die Verwendung von mehrjährigen Getreidesorten wie Kernza oder der Einsatz von aquatischen Ökosystemen, die sich durch natürliche Artenvielfalt stabilisieren. Darüber hinaus fördert Patagonia Food aktiv neue Technologien, etwa im Bereich der bodenschonenden Anbauverfahren, und unterstützt kleine, lokale Erzeuger.

Patagonia Food
Patagonia Food: Nachhaltig nun auch bei Lebensmitteln

Hula Earth

Das Deep-Tech-Start-up Hula Earth ist auf Echtzeit-Monitoring von Biodiversität spezialisiert. Die selbst entwickelte Technologieplattform identifiziert mithilfe von solarbetriebenen, hochpräzisen bioakustischen Sensoren, Satellitendaten und KI-Analysen über 10.000 Tierarten und gesamte Ökosysteme in Echtzeit. Die Technologie bietet zahlreiche Anwendungsgebiete - allen voran im Naturschutz. Doch auch für den Sektor der erneuerbaren Energien werden neue Lösungen entwickelt, die naturbezogene Planungsprozesse vereinfachen sowie fortlaufendes Flächenmonitoring und -management ermöglichen. In der Landwirtschaft bietet die Technologie die Möglichkeit, Investitionen zu kontrollieren und konkrete Handlungsempfehlungen für Landwirte zu entwickeln. Mit Unterstützung aus der Wirtschaft (z. B. Würth Elektronik) und der Forschung (durch die ESA und Fraunhofer) verfolgt das Start-up die Mission, Natur investierbar zu machen.

Hula Earth
Hula Earth: KI-Analysen und Handlungsempfehlungen für die Landwirtschaft

Alganize

Das Start-up Alganize gewinnt mit patentierter Technologie aus Mikroalgen – die kleinsten Pflanzenformen der Welt - wertvolle Signalstoffe, die Pflanzen widerstandsfähiger gegen Stress und Krankheiten machen. Um diese Wirkstoffe gezielt zu erzeugen, setzt das Team die Algen unter exakt definierte Stressbedingungen, sodass sie immunstärkende Metabolite in hoher Konzentration bilden. Diese Moleküle – darunter Polyamine, Antioxidantien oder pflanzenanregende Peptide – werden anschließend in anwendungsfreundlichen Formulierungen aufbereitet. So lässt sich der Einsatz chemischer Dünger und Pestizide deutlich reduzieren, ohne die Produktivität zu beeinträchtigen – eine Lösung, die Landwirte und Greenkeeper fit für den Green Deal macht. Das Bodenmikrobiom und pflanzeneigene Abwehrmechanismen werden gestärkt. Alganize war Teil des Xpreneurs Hightech-Inkubators der UnternehmerTUM und arbeitet in der Forschung eng mit der TUM zusammen. Auch mit Gut & Bösel wurden bereits erfolgreiche Machbarkeitsstudien durchgeführt. „Dabei konnten wir feststellen, dass der Weizen mit unserem Produkt die doppelte Wurzellänge hat“, so Mitgründer Omar Khalaf.

Alganize
Alganize: Patentierte Technologie aus Mikroalgen

Wildfarmed

Der Gründer des Start-ups Wildfarmed Andy Cato wollte eine nachhaltigere Methode für den Getreideanbau finden. Cato betrieb in Frankreich Landwirtschaft auf stark degradierten Böden, die er von seinen Vorbesitzern geerbt hatte. Wildfarmed kombiniert regenerative Landwirtschaft mit einer breiten Auswahl an Getreideprodukten, die auf Mischanbau basieren. Dabei stehen lebendige Böden im Mittelpunkt: Weizen wächst zusammen mit Blühpflanzen und Weideflächen, was den natürlichen Nährstoffkreislauf erhält und gleichzeitig die Artenvielfalt fördert. Durch diese Art der Bewirtschaftung entstehen Mehle und Grieß mit einem ausgeprägten Eigengeschmack.

Dieser Artikel ist im Colab Quarterly mit dem Schwerpunkt Biodiversität erschienen.