Es war eine berufliche Reise nach Portugal, die die heutigen Gründerinnen Marlene Marx und Pia Egelkraut schockiert und zugleich inspiriert hat. „In unserem vorherigen Job haben wir oft Produktionsstätten besucht. Eines Tages standen wir in einer Halle voller fertig produzierter Stoffe, die perspektivisch vernichtet werden würden. Diese Stoffe werden beispielsweise wegen überschätzter Bedarfe oder minimalen Farbabweichungen abgelehnt. Das Ausmaß des ‚Deadstock‘-Problems ist enorm“, erinnert sich Egelkraut. Laut der Ellen MacArthur Foundation enden mindestens 12 % der für die globale Bekleidungsherstellung produzierten Materialien als Abfall, bevor sie überhaupt zu Kleidungsstücken verarbeitet werden. „Mit avonté wollen wir Produkte anbieten, die diese Stoffe nutzen, und etwas gegen die Überproduktion in der Modeindustrie unternehmen“, so Marlene Marx.
»Laut der Ellen MacArthur Foundation enden mindestens 12 % der für die globale Bekleidungsherstellung produzierten Materialien als Abfall, bevor sie überhaupt zu Kleidungsstücken verarbeitet werden.«
Das junge Kölner Label avonté designt hochwertige Nachtwäsche und Loungewear mit dem Ansatz von Kreislaufwirtschaft. „Wir drehen den herkömmlichen Produktentwicklungsprozess um. Statt in Kollektionen, Farbkonzepten und Trends zu denken, entwickeln wir zeitlose und flexible Schnitte und starten die Produktentwicklung mit der Auswahl von Reststoffen der Branche. Diese Herangehensweise zwingt uns, noch kreativer zu sein“, erklärt Designerin Egelkraut. „Neue Produkte müssen uns maximale Freiheiten bei der Verwendung unterschiedlicher Materialien erlauben, um flexibel auf verfügbare Reststoffe reagieren zu können und unser nachhaltiges Konzept beizubehalten“, so die Co-Gründerin weiter. Trotzdem ist Skalierung ein nächstes Ziel. „Wenn wir aus einem Nischenthema nur ein Nischenprodukt machen, werden wir kein Geld verdienen“, ergänzt Marx.
Auch Kevin Zürn, Gründer des Münchner Start-ups Sneakprint, will die Massenproduktion ersetzen – „Massen-Personalisierung“ heißt sein Ziel. Sein Instrument dafür ist der 3D-Druck. Den gibt es in der Schuh-Produktion zwar schon länger, doch bei Sneakprint geht es um das Herzstück, die passende Mittelsohle. „Wir verkaufen keine Sneaker nach Größe, sondern vermessen, digitalisieren und analysieren im Voraus jeden Fuß, um die Mittelsohle in der passenden Größe zu modellieren“, erklärt Zürn, der in seinem Team dafür mit professionellen Orthopädietechnikern zusammenarbeitet. Härte und Form lassen sich so individuell einstellen. „Nachhaltig heißt für uns, dass ein Schuh lange getragen wird.“ Mindestens jeder fünfte Sneaker wird ungetragen weggeworfen – Retouren landen im Müll, weil es für die Hersteller billiger ist. Das will Zürn, der für die Entwicklung der Fußmodelle auch den MakerSpace im Munich Urban Colab nutzte, nicht mehr hinnehmen. Aktuell arbeitet der Unternehmer, der für seine Idee bereits mit dem Start-up Design Award ausgezeichnet wurde, unter anderem an einer B2B-Lösung für die Industrie.
Ebenfalls in neuen Welten bewegt sich CEO und
Gründerin Juliane Kahl mit ihrem Responsive Fashion
Institute. Mit ihrem Engagement für digitale Couture
zählt sie zu denen, die dem Mode-Massenmarkt virtuelle
Güter entgegensetzen. „Mir geht es darum, die Wahrnehmung, die Kommunikation, die Produktion und das
gesamte Erlebnis von Mode zu verändern“, sagt Juliane
Kahl, die dafür auf das sogenannte Metaverse im Web3, der nächsten Internetgeneration, setzt – die Verbindung von digitaler und physischer Welt. Aus der Sicht von
Juliane Kahl bietet das Metaverse eine Plattform, auf der
physische, aber eben auch rein digitale Kleidung entworfen, beworben und gehandelt werden kann. Dabei spielt
auch Augmented Reality für die Massenadaption eine
große Rolle, etwa mit „Try-on-Filtern“ auf Social-Media-
Plattformen wie Snapchat. Laut Cornell Cronicle könnte
die Metaverse-Industrie die Treibhausgasemissionen um
10 Gigatonnen bis zum Jahr 2050 senken.
Das Responsive Fashion Institute entwickelt digitale Modeanwendungen, baut Prototypen und Workshop-Formate für diese neuen Fragestellungen, etwa mit Blick auf die Zukunft von Trachtenmode. „Bei den Workshops, die wir durchführen, wollen wir die kommenden Designer und Designerinnen sensibilisieren. Nur so schaffen wir einen maßgeblichen Wandel.“ Damit ist sie in prominenter Gesellschaft, große Labels wie Adidas oder Dolce & Gabbana nutzen etwa mit digitalen Fashion Shows und NFT-Kollektionen bereits die Chance, im Metaverse neue emotionale Verbindungen mit ihren Kunden zu knüpfen.
Myzelien als Leder-Alternative
Von Wandpaneelen und Fußbodensystemen bis hin zu Wintermänteln und eleganten Taschen – der italienische Designer, Forscher und Unternehmer Maurizio Montalti nutzt die Eigenschaften des Pilzmyzels – des vegetativen Körpers von Pilzen –, um umweltfreundliche und innovative hochwertige Alternativen zu herkömmlichen Textilien zu schaffen.
Beispiel Chitin: Das zweithäufigste Biopolymer in der Natur, das von Pilzen produziert wird, kann so bearbeitet werden, dass Materialien und Produkte entstehen, die oft mit herkömmlichem Tierleder verglichen werden. Der Herstellungsprozess ist jedoch völlig anders, da er auf Fermentationsverfahren und Biofabrikation basiert. „Unsere Technologien beruhen auf einer aktiven Zusammenarbeit mit mikrobiellen Akteuren, insbesondere mit Pilzen und ihrem Myzel. Im Gegensatz zu chemiebasierten Prozessen bietet die Arbeit mit lebenden Organismen unglaubliche Möglichkeiten, aber auch große Herausforderungen, zum Beispiel in Bezug auf die Standardisierung“, erklärt Montalti. „Unsere technologische Plattform ermöglicht es, völlig neue Materialkategorien für alltägliche Anwendungen zu entwickeln“, so Montalti. Die ersten Luxusmodemarken wie Balenciaga haben bereits Produkte auf den Laufsteg und auf den Markt gebracht. „Das ist erst der Anfang, denn es kann lange dauern, bis die Innovation den vollen Umfang erreicht und zu einem weithin anerkannten Standard wird - und sie funktioniert nur, wenn die vielen verschiedenen beteiligten Disziplinen in voller Synergie zusammenarbeiten“, sagt der Mitbegründer des italienischen Unternehmens SQIM und der Marken Mogu und Ephea.
»Die Zukunft liegt im
regenerativen Design.«
Für Ingenieur Julian Ellis-Brown, CEO der britischen Marke Ponda, liegt die Zukunft im regenerativen Design – also in der Entwicklung von Materialien, die „naturpositiv“ sind und der Umwelt sogar etwas zurückgeben. Das fluffige Füllmaterial BioPuff von Ponda etwa soll nicht nur Daunen und synthetische Fasern in Winterjacken oder Taschen ersetzen. Die wasserabweisenden und wärmende Fasern werden aus Pflanzen hergestellt, die zur Regeneration von wertvollen Ökosystemen wie Sumpflandschaften und Mooren beitragen. Typha latifolia heißt die robuste Art, die sich gut für diesen Wiederaufbau eignet, weil sie schnell wächst, CO2 bindet, aber auch eine hochwertige Faser liefert. „Diese neue Form des regenerativen Designs ermöglicht es uns, die Wirkung zu erzielen, die wir brauchen, und gleichzeitig die Kontinuität der Lebensgrundlagen der Landwirte sicherzustellen“, sagt Ellis-Brown. BioPuff soll hier nur der Anfang sein.
Dieser Artikel ist im Colab Quarterly mit Schwerpunkt Mode und Nachhaltigkeit erschienen.