Was digitale Lösungen und fachübergreifende Zusammenarbeit leisten können Ein Blick in die Zukunft der Pflege bei der „Digital Health & Care“

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Digital health care Juli 2023 Bert Willer

Mit neuem Konzept startete am 19. Juli 2023 die zweite „Digital Health & Care“ Konferenz im Munich Urban Colab. Mehr als 80 Teilnehmende entwickelten in gemeinsamen Workshops neue Ideen und Forderungen für die Zukunft der Pflege, 13 Start-ups zeigten ihre digitalen Lösungen.

Wo liegen die Chancen digitaler Anwendungen für Pflegefachkräfte und pflegende Angehörige? Können digitale Lösungen einen Beitrag leisten, um den Pflegenotstand einzudämmen? Wie können Pflegeberufe attraktiver gestaltet werden? Diese wichtigen Fragen wurden von Beteiligten aus Pflegeeinrichtungen, engagierten Bürger*innen, pflegenden Angehörigen, Organisationen und Start-ups bei der zweiten „Digital Health & Care“ Konferenz im Munich Urban Colab gemeinsam diskutiert – und das in interaktiven Workshops, mit ehrlichem Erfahrungsaustausch der insgesamt 80 Teilnehmenden und mit ganz konkretem Blick auf die alltägliche Praxis der Pflegedienste und der pflegenden Angehörigen in Wohnungen oder professionellen Einrichtungen.

Entwickelt wurde das neue Event-Konzept vom Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München, dem Munich Urban Colab in Co-Creation mit Start-ups und der Wir! Stiftung pflegender Angehöriger. „Der Ansatz passt perfekt zum Munich Urban Colab. Lösungen und Innovationen brauchen Austausch und Zusammenarbeit verschiedener Akteure und Akteurinnen. Und Ideen brauchen Raum zum Wachsen – genau diesen Ort bieten wir", so Claudia Frey, CEO des Munich Urban Colab und CFO von UnternehmerTUM.

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Die Initiatorinnen und Initiatoren der Konferenz (v.l.n.r.): Julia Christiansen, Brigitte Bührlen, Claudia Frey, Dr. Horan Lee und Clemens Baumgärtner (Copyright: Bert Willer)

Im Fokus der Veranstaltung stand vor allem der Fach- und Nachwuchskräftemangel. Allein in Deutschland werden monatlich mehr als 40.000 Stellen in der Pflege ausgeschrieben, laut Bundesanstalt für Arbeit bleiben offene Jobs in der Pflege im Durchschnitt 170 Tage unbesetzt. Mehr als vier Millionen Menschen werden zuhause gepflegt. Die Digitalisierung ist eine mögliche Stellschraube, um mit intelligenten Lösungen zur Entlastung und zu einer höheren Attraktivität der Pflegeberufe beizutragen.

Bei seiner Begrüßung hob Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München, deshalb die Bedeutung innovativer Pflegekonzepte hervor. „Nur eine soziale Stadt kann auch eine Stadt der Zukunft sein“, erklärte Baumgärtner. Es gehe jetzt darum, die Arbeit der Pflegenden zu erleichtern und sich um diejenigen zu kümmern, die den Wohlstand der Stadt erarbeitet haben. „Die demographische Revolution fordert uns“, so der Referent.

„Je mehr wir voneinander wissen, desto besser sind die Chancen, gute Lösungen hinzubekommen.“

Beim Thema Pflege gehe es jedoch nicht nur um die ältere Generation, zeigte Brigitte Bührlen, die als Gründerin und Vorständin der „Wir! Stiftung pflegender Angehöriger“ eine Schnittstelle zwischen den Betroffenen und der Politik schafft. Auch Jugendliche oder jüngere Ehepartner*innen seien häufig in die Pflege von Familienmitgliedern eingebunden. 84 Prozent der Pflegebedürftigen werden zuhause gepflegt. „Dabei fußt das gesamte Pflegesystem noch immer auf dem alten Subsidiaritätsprinzip.“ Dieses Prinzip bedeutet, dass aus staatlicher Sicht möglichst zunächst Familienmitglieder oder nahestehende Personen die Pflege und Unterstützung von pflegebedürftigen Angehörigen übernehmen sollten, und erst danach lokale Dienste oder Institutionen ins Spiel kommen.

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Brigitte Bührlen, Gründerin und Vorstand der WIR! Stiftung pflegender Angehörige, rief in ihrem Impulsvortrag zu mehr Schnittstellen und Zusammenarbeit bei der Entwicklung digitaler Lösungen auf. (Copyright: Bert Willer)

Bührlen forderte deshalb eine grundsätzliche strukturelle Reform, sowie eine neue Schnittstellenkultur, die auch die Wünsche der Bürger*innen stärker berücksichtige. „Start-ups und Unternehmen sollten bei der Entwicklung von digitalen Lösungen in Handlungsketten planen und die Betroffenen fragen“, rät Brigitte Bührlen mit Blick auf ihre langjährigen Erfahrungen im Pflegebereich. „Pflegende und Angehörige wissen am besten, was sie brauchen.“ Neue Schnittstellen und die Kollaboration zwischen Projekte zwischen Lösungsentwickler*innen und Pflegenden werden dringend benötigt, so der Tenor der engagierten Diskussionen in den verschiedenen Workshops des Events und dem anschließenden Plenum. Für einen gemeinsamen Austausch plädierte auch Moderator Dr. Stefan Arend, selbst Lehrbeauftragter und Experte in der Pflegebranche: „Je mehr wir voneinander wissen, desto besser sind die Chancen, gute Lösungen hinzubekommen.“

Digitale Lösungen für einen leichteren Pflegealltag

Digitale Technologien haben dabei das Potenzial, die Pflegenden erheblich zu entlasten, so dass mehr Zeit für den Menschen bleibt, diese Ansicht teilte die Mehrheit der Teilnehmenden. Dafür brauche es jedoch technische Lösungen, die zusammenpassen, ein durchgängiges Patienten-Datenmanagement und die konsequente Einführung der elektronischen Patientenakte, denn: Bisherige Rahmenbedingungen erschweren die Einführung sinnvoller Tools und führen häufig sogar zu Mehrbelastungen, berichteten Mitarbeiterinnen großer Pflege-Einrichtungen. Gebraucht würden zudem breit angelegte Schulungen und nachhaltige Implementierungskonzepte für neue Tools sowie eine neue Lernkultur bei den Beschäftigten, so die Erfahrung der Teilnehmenden aus der Praxis.

Digital health care Juli 2023 Stell Dir Vor Bert Willer
StellDirVor-Gründerin Petra Dahm in ihrem Workshop zu neuen Schulungskonzepten für Akut- & Pflegeeinrichtungen. (Copyright: Bert Willer)

Wie neue Schulungs- und Weiterbildungskonzepte aussehen könnten, das zeigte beispielsweise das Start-up „StellDirVor“, das flexible Trainings- oder Qualifizierungsprogramme, etwa für die Übung von Standardabläufen oder Notfallsituationen, über Virtual Reality oder Augmented Reality anbietet. Das sei keine Spielerei, sondern mache unter anderem zeit- und ortsunabhängige, praxisnahe Fortbildungen möglich. „Die Pflegenden können so aus eigenen Erlebnissen anstatt über Erklärungen lernen“, sagt eine der Gründerinnen Petra Dahm.

Doch viele Angebote können durch den drängenden Personalmangel nicht genutzt oder weiterentwickelt werden. Organisationen sollten bei der Anwerbung neuer Mitarbeitender stärker ihre Werte und Alleinstellungsmerkmale nach außen tragen, so ein Ergebnis des Workshops der Recruiting-Experten von Personio und Rekrutados. Konkrete und innovative Lösungen zeigten in der anschließenden Ausstellung beispielsweise die Gründer von XTRPY mit „Lifestein“, einem hochwertigen Schmuckstück, das als Notfallsensor agiert und Stürze erkennen kann. Über das Internet der Dinge wird schnell Hilfe alarmiert, und das mit einem Accessoire, das Patient*innen gerne tragen.

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Gemeinsam erarbeiteten Personio und Rekrutados mit den Teilnehmenden, wie Fachpersonal in der Pflege gewonnen und gebunden werden kann. (Copyright: Bert Willer)

Einen Weg für mehr digitale Teilhabe bietet die Lösung Enna: Statt Befehle über ein Display einzugeben, können z.B. Senioren hier vorgefertigte Karten und ein einfach zu bedienendes Lesegerät nutzen. Auch Roboter oder Künstliche Intelligenz bieten inzwischen Hilfe im Care-Bereich – das Unternehmen Devanthro zeigt mit dem neuartigen ambulanten Pflegeservice „Robody Cares“ wie ferngesteuerte, humanoide Roboter Zuhause Patient*innen rund um die Uhr Fürsorge bieten, indem sie zum Beispiel an die Einnahme von Medikamenten erinnern oder im Notfall für Hilfe sorgen.

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Roboter und Künstliche Intelligenz im Care Bereich: Der ambulante Pflegeservice "Robody Cares" von Devanthro. (Copyright: Bert Willer)

Um Barrierefreiheit beim Lesen von Texten kümmert sich „Summ AI“ mit der Übersetzung in leichte Sprache auf Knopfdruck. Rund 10 Mio. Menschen in Deutschland sind auf leichte Sprache angewiesen, um ihren Alltag zu meistern, dazu zählen auch Ältere oder Kranke mit Pflegebedarf. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz kann das Tool hier unterstützen.

Munich Urban Colab als Kollaborationsraum und Treffpunkt

Das Organisatorenteam der Konferenz aus dem Referat Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München unterstreicht die Bedeutung von Zusammenarbeit der verschiedenen Akteur*innen. „Gesundheit und Pflege sind große urbane Herausforderungen unserer Zeit. Die ‚Digital Health & Care‘ hat gezeigt, wie wichtig fachübergreifende Plattformen sind, um konkret an Problemen zu arbeiten, Berührungsängste abzubauen und Pflegende direkt in die Lösungsentwicklung einzubeziehen“, sagt Julia Christiansen, zuständig für Digitale Transformation, Innovationsförderung und Director City Collaboration im Munich Urban Colab. Horan Lee, Leiter des Arbeitskreises „CareMeetsTech“, ergänzt: „Mit unserem Co-Creation-Ansatz sind wir bei der Konferenz ein kleines Wagnis eingegangen, das Munich Urban Colab bot hier den perfekten Rahmen. Der engagierte Austausch zeigt, dass wir hier den richtigen Weg gehen.“

Digital health care Juli 2023 Workshop Bert Willer
Der Co-Creation-Ansatz mit vielen verschiedenen Workshops hat sich ausgezahlt.

Auch von den Start-ups kommt positives Feedback. „Der Tag im Colab war für uns äußerst bereichernd und inspirierend“, so Sonja Bredemeyer, Business Development Manager von Personio. „Wir hatten die wertvolle Gelegenheit, gemeinsam mit Vertreterinnen aus dem Gesundheitswesen über die Digitalisierung in der Pflege zu diskutieren und zu erarbeiten, welche Interessen pflegebedürftige Personen, potenzielle Bewerberinnen und Fachabteilungen im Bewerbungsprozess haben“, ergänzt Team Lead Sales Mark Gorelik.

„Technologie trifft Pflege – und man mag sich. Der interaktive Austausch auf Augenhöhe mit der Pflegebranche war für uns als Hightech-Start-up sehr wertvoll. Wir freuen uns schon auf das nächste Format", fasst Devanthro-Gründer Rafael Hofstettler zusammen.

Digital health care Juli 2023 Messe Bert Willer
Bei der Messeausstellung konnten die Teilnehmenden die innovativen Lösungen selbst auszuprobieren und in den Austausch mit den Unternehmen gehen.

Im kommenden Jahr ist eine Fortsetzung der Veranstaltung geplant. Interessierte Start-ups, Unternehmen und Pflegende können sich gerne an colab@muenchen.de wenden.

Wir danken unseren Partnern:

sowie den weiteren Ausstellern:

Impressionen (Fotocredit: Bert Willer)

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