Digital fit für die Pflege?! Neue Perspektiven durch innovative Lern- und Arbeitshilfen 3. Konferenz „digital health & care“

Aktuelles
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  • Interaktives Programm entstand in Co-Creation mit Start-ups, dem LMU-Klinikum, der „Wir! Stiftung pflegender Angehöriger“ und weiteren Expert*innen aus dem Bereich Gesundheit und Pflege
  • Judith Gerlach, bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention kündigt in ihrem Grußwort die bayerische „Highcare-Agenda“ an
  • Mehr als 100 Teilnehmende aus Pflege-Praxis, Wissenschaft und Wirtschaft zu Gast im Munich Urban Colab
  • Technische Infrastruktur und Finanzierung sind gefragt

Ein Roboter, der die Einsamkeit vertreibt oder die App, die praktische Hilfe bietet, wenn schnell der Antrag für Pflegeleistungen gestellt werden muss: Digitale Lösungen können in der Pflege aktivieren, Pflegende entlasten und mehr Zeit für die menschliche Fürsorge schaffen. Doch häufig scheitert die Einführung von Innovationen an der Finanzierung oder der technischen Grundausstattung, zeigte die dritte „digital health & care“ Konferenz.

In Co-Creation mit Start-ups, dem LMU-Klinikum, der „Wir! Stiftung pflegender Angehöriger“ und weiteren Expert*innen aus dem Bereich Gesundheit und Pflege hatte die Landeshauptstadt München auf Initiative des Referats für Arbeit und Wirtschaft in Partnerschaft mit dem Munich Urban Colab ein gemeinsames interaktives Programm mit Vorträgen, Diskussionen, Workshops und einer begleitenden Fachmesse entwickelt.

Auch in diesem Jahr ist das Interesse am Austausch zwischen pflegenden Angehörigen, Beschäftigten von Pflegediensten und Einrichtungen sowie Unternehmen aus dem Bereich „Digital Healthcare“ weiter gewachsen, das Auditorium im Munich Urban Colab war voll besetzt. Im Fokus standen diesmal digitale Lern- und Arbeitshilfen zur Unterstützung von Pflegenden.

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In diesem Jahr waren die Tickets für die "digital health & care" Konferenz restlos ausverkauft.

„Wir benötigen digitale Tools und Plattformen, die daran ausgerichtet sind, was pflegebedürftige Menschen und die Pflegenden im Alltag tatsächlich brauchen", betonte Judith Gerlach. Von Moderator Dr. Stefan Arend wurde Gerlach in ihrer aktuellen Funktion als bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention und mit ihrer Erfahrung als frühere bayerische Digitalministerin als „personifizierte Brückenbauerin“ vorgestellt. In ihrem engagierten Grußwort berichtete die Ministerin von ihren eigenen Erfahrungen bei einer Hospitation und von ihren Eindrücken aus ihren Besuchen in Pflegeeinrichtungen. „Wir werden weiterhin Pflegekräfte brauchen, die eine menschliche und qualitätsgesicherte Pflege gewährleisten, aber wir müssen auch das große Potenzial der Digitalisierung für das gesamte Pflegeumfeld nutzen“, erklärte Gerlach, die eine „Highcare-Agenda“ und eine WLAN-Strategie für Pflegeheime ankündigte. „Dabei wollen wir von Anfang an die Anwender mitdenken und neue Lösungen zügig implementieren. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe“, so Gerlach.

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Judith Gerlach, Bayerns Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention, kündigte in ihrem Grußwort die bayerische „Highcare-Agenda“ an.

Dass für eine humane Pflege immer mehr menschliche Hände fehlen, darauf wies Claudia Frey, CEO des Munich Urban Colab hin. Denn u.a. durch die Alterung der Gesellschaft werden in Deutschland bis zum Jahr 2049 voraussichtlich zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen. „Digitalisierung ist hier kein Allheilmittel, aber kann Abläufe optimieren und lästige Pflichten übernehmen“, skizzierte Claudia Frey. Eine Schlüsselrolle für die Entwicklung neuer digitaler Lösungen können Start-ups einnehmen. „Damit neue Ansätze noch besser werden und in die Anwendung kommen, dafür braucht es Austausch auf Augenhöhe, den die Konferenz bietet. Das Munich Urban Colab bietet dafür den perfekten Ort mit einer offenen Atmosphäre für den vertrauensvollen Austausch der Akteurinnen und Akteure“, erklärte Frey.

Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft, verwies auf die hohe Dichte von Start-ups und IT-Firmen in der Landeshauptstadt München und die besondere Rolle des Munich Urban Colab für die Vernetzung von Stakeholdern für die Stadt der Zukunft. So könnten Geräte wie VR-Brillen ganz neue Möglichkeiten eröffnen.

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Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft, bei seiner Eröffnungsrede.

Mit Datenbrillen und Anwendungen in der virtuellen (VR) oder erweiterten Realität (AR) sind Start-ups wie StellDirVor schon heute im Einsatz. So trainiert das Unternehmen Pflegekräfte im virtuellen Raum, etwa in der medizinischen Weiterbildung. Aber auch die Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland wird mit dem Eintauchen in digitale Welten erleichtert. „Über immersive Technologien und Assistenzsysteme, die sprachunabhängig genutzt werden können, sind wir beispielsweise schon in der Präqualifizierung von Fachkräften aktiv“, berichtete Alexandra Messerschmidt von StellDirVor.

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Bei der Messeausstellung konnten die Gäste die Innovationen selbst ausprobieren - wie die Lösung von StellDirVor.

Aus der Sicht von Brigitte Bührlen, Gründerin und Geschäftsführerin der Wir! Stiftung pflegender Angehöriger, wird die Digitalisierung künftig eine wesentliche Rolle im Pflegemix spielen. „Dafür brauchen wir Lösungen, die mit den Betroffenen gemeinsam entwickelt werden und an Handlungsketten orientiert sind. Diese Lösungen dürfen übrigens auch Spaß machen“, so die Expertin, die sich mit der Stiftung auch in politische Entscheidungsprozesse einbringt. „Mein Wunschzettel: Bürokratieabbau, Bürokratieabbau, Bürokratieabbau“, mahnte Bührlen, die das Ende des noch immer geltenden Subsidiaritätsprinzips fordert: „Unser System ist auf die freiwillige und moralische Verpflichtung pflegender Angehöriger ausgelegt, das werden wir nicht mehr lange durchhalten.“

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Lösungen gemeinsam mit Betroffenen entwickeln und an Handlungsketten orientieren: Das forderte Brigitte Bührlen in ihrem Impulsvortag.

Wie die erfolgreiche Zusammenarbeit konkret zwischen Start-ups und Pflegeeinrichtungen aussehen kann, zeigten Karin Bernecker, Leitung Zentrale Qualität beim Münchenstift und Christoph Schneeweiß, Gründer von CareTable – einem beweglichen Aktivitätstisch, der einem überdimensionierten Tablet-Computer gleicht. Mit dem Tisch können Bewohnerinnen und Bewohner des Münchenstifts beispielsweise ihre Sinne trainieren oder mit ihren Familien sprechen. Der CareTable gehört dabei zu einem ganzen Strauß an digitalen Tools, die Münchenstift inzwischen einsetzt – von smarter Dokumentation über mobile Endgeräte über Sturzerkennungssensoren bis hin zum Aktivitätstisch reichen die Angebote, die über ein eigenes Glasfasernetz und flächendeckendem WLAN verteilt und genutzt werden können. Allein die smarte und mobile Dokumentation spart in den acht Häusern, in denen wir das Tool bereits einsetzen, mehr als eine Stunde administrativer Arbeit ein“, berichtete Bernecker.

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Karin Bernecker und Christoph Schneeweiß zeigten, wie erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Start-ups und Pflegeeinrichtungen aussehen kann.

Für Gründer Christoph Schneeweiß ist die Zusammenarbeit mit Münchenstift, die vor zwei Jahren begonnen hat, ein wichtiges Referenzprojekt. Mehr als 1000 Pflegeeinrichtungen in der DACH Region sowie in Luxemburg oder Italien nutzen den CareTable bereits. Aber, so die Erfahrung: „Die Beschaffung dauert und wird oft über kreative Wege finanziert.“ Inzwischen hat das Start-up aus der Not eine Tugend gemacht und eine eigene Abteilung für Fördermittelmanagement aufgebaut.

Das unterstrich auch Christoph Jaschke, CEO und Gründer von CODY.care sowie Präsident der Deutschen interdisziplinären Gesellschaft für außerklinische Beatmung und Intensivversorgung Deutschen Gesellschaft für Außerklinische Beatmung. Er appellierte an die Politik, mehr voran zu gehen und einen größeren Wurf zu wagen, statt sich in kleinen Insellösungen zu verlieren. „Wenn wir nicht schneller vorankommen, liegt es nicht an den Ideen oder am fehlenden Schulterschluss mit den Einrichtungen, sondern an der fehlenden Finanzierung – in Deutschland gibt es für körperliche Pflege Geld, aber nicht für Innovationen. Andere Länder wie Kroatien sind hier schon deutlich weiter.“

Karin Bernecker ermutigte die Teilnehmenden, sich öffentlich bemerkbar zu machen und auch Umwege bei der Finanzierung zu gehen. „Für unser multisensorisches Konzept haben wir beispielsweise Unterstützung von der SZ Gute Werke (ehemals Adventskalender für gute Werke) der Süddeutschen Zeitung bekommen.“

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Dass es nicht nur Umwege bei der Finanzierung, sondern vor allem mutige Wege braucht, zeigt auch die Zusammenarbeit der Digital Product School von UnternehmerTUM und dem Caritasverband. „Wäre es nicht toll, wenn unsere Pflegekräfte weniger für die Dokumentation aufbringen müssten und dadurch wieder mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten hätten?“ Mit dieser Frage wandte sich der Verband, der 25.000 ambulante und stationäre Einrichtungen unterhält, im Frühjahr 2023 an die Digital Product School (DPS) von UnternehmerTUM.

In nur drei Monaten entwickelte ein Team aus Talenten einen Prototyp, der das zeitaufwendige Aufnahmeverfahren von pflegebedürftigen Personen digitalisiert und vereinfacht. Gestartet als Team, mittlerweile herangewachsen zum Start-up, verbessert CareMates heute nicht nur die Versorgung, sondern erzielt auch eine Zeitersparnis von bis zu vier Stunden pro Patientin und Patient. „Wir mussten in der Zusammenarbeit oft über unseren eigenen Schatten und unsere Strukturen springen“, thematisierte Lena Wirthmüller vom Caritasverband das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Kulturen in der Sozialwirtschaft und in Start-ups. Aber: „Es macht Spaß, neue Dinge auszuprobieren, Prototypen zu testen und sich mal was zu trauen“. Dylon Sean Gruner, Gründer von CareMates, machte deutlich, wie wichtig eine Partnerschaft auf Augenhöhe und der Zugang zu Ressourcen sei. So konnte das Team beispielsweise Pflegekräfte in ihrem Alltag begleiten und wichtiges Wissen über ihren Alltag sammeln. „Wir waren super dankbar, dass uns die Caritas die Türen geöffnet hat.“

Bildrechte: Bert Willer

Impressionen

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